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FREIE WELT |
FREIE WELT, N 4, 1985, Germany
PATENTE & TALENTE FREIE WELT - Reporter Wolfgang Heureka! Wie pack' ich's? Der Knьppel, mit dem unsere Urahnen |
Mitten im alten, ehrwьrdigen und anheimelnden Baku, der aserbaidshanischen Metropole am Kaspischen Meer. Eine Straяe im Zentrum, unweit der erhalten gebliebenen Festungsmauern, der Minarette und Moscheen aus orientalischer Vergangenheit. Ein mehrstцckiges Haus ohne besondere Merkmale. Ein kleines Tьrschild, das man ьbersehen kцnnte, wьяte man nicht, was sich dahinter verbirgt: eine ungewцhnliche Schule, in der gelehrt wird, ungewцhnlich zu denken. Eine Schule, die hoch im Kurs steht bei der technisch interessierten Jugend Bakus. Denn hier kann jeder erproben, ob er das Zeug dazu hat, ein Erfinder zu werden.
ДHeureka - ich hab's gefunden." Die Legende hat uns ьbermittelt, daя Archimedes von Syrakus, Mathematiker und Forscher der Antike (etwa 287 bis 212 v. u. Z.), diesen berьhmten Ausruf tat, als er, im Bade sitzend, die Lцsung fand, einen goldenen Kranz auf unedle Metallbestandteile prьfen zu kцnnen. Voller Entzьcken darьber soll er nach Hause geeilt sein, ohne sich vorher anzukleiden. Ja, ja, unsere Vorfahren!
Ganz so enthusiastisch, jedenfalls auf den ersten Blick, geht es bei den Hцrern und Lehrern der Erfinderschule Bakus Ende 1984 nicht zu. Eine Atmosphдre wie in der Vorlesungspause in einem x-beliebigen Hцrsaal empfдngt den Besucher. Nur daя der Raum durch die verschiedenartigen Demonstrationsbeispiele an Wдnden und auf Tischen - Zeichnungen, Karten, Fotos, Modelle von Exponaten - intimer wirkt. Heute findet keine Vorlesung statt. Vorherrschend der Disput im Duo oder in kleinen Grьppchen, die sich vorerst auch nicht von Gдsten Дin ihren Kreisen" stцren lassen. Erfahrungsaustausch fьr Eingeweihte, Konsultation fьr Lehrer, Konstrukteure und Laborleiter, jeden Mittwochabend auf dem Programm, oft bis 23 Uhr dauernd. Die Seminare mit den Hцrern und die praktische Arbeit in den Labors finden an anderen Abenden und vor allem am Wochenende statt.
Bereits unser erstes Gesprдch mit dem agilen Direktor dieser ДSchule", Tofik Imamalijew, 36jдhriger Patentingenieur, bedeutet uns, daя eine Portion Besessenheit schon dazu gehцrt, um hier bestehen zu kцnnen.
ДWir sind eine gesellschaftliche Institution, getragen von der Allunionsgesellschaft der Erfinder und Neuerer, besonders gefцrdert vom ZK des Komsomol Aserbaidshans, unterstьtzt von unserer Akademie der Wissenschaften.
Wer zu uns kommt, tut dies aus eigenem Antrieb. Wir machen deshalb auch keinerlei Einschrдnkungen hinsichtlich des Alters und des Berufes, ob noch Schьler oder Student, ob Arbeiter oder Ingenieur. Eigentlich kann jeder hier eintreten. Zwei Voraussetzungen braucht er allerdings dafьr: Er muя in sich den Drang spьren, etwas Neues schaffen zu wollen und bereit sein, viel zu arbeiten. Das Fachwissen setzen wir voraus, wir lehren, es schцpferisch zur Lцsung technischer Aufgaben zu gebrauchen."
Direktor Imamalljew: ДZuerst muя man lernen, den nцtigen Respekt vor jeder technischen Aufgabe zu haben und anstreben, sie auf hцchstem Niveau zu lцsen. Das kollektive Schцpfertum hilft dabei." |
Das Markenzeichen
Jede Firma, die auf sich hдlt, drьckt mit ihrem Markenzeichen zugleich ihren Stil aus. Das Zentrum fьr Methodologie des Erfindertums, wie sich die Bakuer heute nennen, wдhlte dafьr das Mцbiussche Band. Die einfache und faszinierende Entdeckung des deutschen Mathematikers August F. Mцbius Mitte des 19. Jahrhunderts: die Дeinseitige" Flдche, anschaulich durch einen verdrillt zusammengehefteten Papierstreifen. ДUnsere Symbolik dafьr, daя das, was wir machen, nicht alltдglich ist", erklдrt Tofik Imamalijew. Und sofort improvisiert er mit uns eine №bungsstunde, was man mit diesem Band alles anstellen kann. Zuerst fahren wir mit dem Bleistift lдngs seiner Mittellinie und gelangen ohne abzusetzen wieder zu unserem Ausgangspunkt. Dann zerschneiden wir es auf diesem Wege und erhalten nicht etwa zwei Teile, sondern einen Ring von halber Breite und doppelter Lдnge. Nach nochmaligem Schnitt hдngen zwei Ringe wie Kettenglieder ineinander. Schnell stellt sich allerdings heraus, daя wir fьr das Finden einer Lцsung, wo das Mцbiussche Band wohl am sinnvollsten im technischen Bereich eingesetzt werden kann, nicht trainiert genug sind. Uns leuchtet aber ein, daя sich beispielsweise beim Schleifen oder Magnetspeichern sein doppelter Effekt durch die Дeinseitige" Flдche wirksam auszahlen kцnnte. Ein interessantes Denkspiel. Doch nicht deshalb sind wir hier, sondern um jene kennenzulernen, die fьr den guten Ruf dieses Zentrums weit ьber die Republikgrenzen Aserbaidshans hinaus gesorgt haben.
Rund 300 Urheberscheine, eingetragen beim Moskauer Staatlichen Komitee fьr Erfindungswesen, sind von Absolventen dieses gesellschaftlichen Instituts bisher erworben worden, цkonomisch ausgedrьckt: Jeder investierte Rubel fьr die Ausbildung junger Menschen im technischen Erfinden bringt durch die Nutzung der von ihnen entwickelten Ideen einen Gewinn von 16 Rubeln. Das hat man in Baku errechnet. Es gibt aber in vielen Stдdten der Sowjetunion Erfinderzentren... Wer sind nun diese Leute? Wie gehen sie vor? Wie befцrdern sie den wissenschaftlichtechnischen Fortschritt?
Bleiben wir zunдchst beim Direktor. Ingenieur Imamalijew ist im дltesten Teil Bakus geboren. ДAn sehr gefдhrlicher Stelle, gleich neben der Festungsmauer, einst todbringende Grenze zwischen zwei Welten. In unserer Zeit aber konnten wir auf den Mauern nach Herzenslust Kinderspiele machen." Ihre Lieblingsspiele: Kosaken und Rдuber sowie Altertumsforscher. Das sahen sie den Groяen ab. ДEs war so interessant, daя wir manchmal sogar eine Schulstunde schwдnzten. Aber finde mal eine uralte Buddel mit halbrundem Boden. Dutzende Fragen tauchen da plцtzlich auf." Tofik Imamalijew blieb ein Fragender und Suchender die Schulzeit ьber. Als Siebzehnjдhriger bedauerte er es, daя er keinen Computer besaя, und er wollte so schnell wie mцglich studieren. Er tat's, in Leningrad, wurde Ingenieur fьr Mechanik. Seine erste Erfindung meldete er wдhrend der Diplomarbeit an: einen Drehwinkel-Umwandler. Heute arbeitet er in der Patentabteilung des Instituts fьr Elektrotechnik an der Aserbaidshanischen Akademie der Wissenschaften. Sein zweites Zuhause aber ist die Erfinderschule, wo er und Gleichgesinnte darum bemьht sind, mцglichst vielen jungen Menschen, inzwischen bereits 30 Prozent Mдdchen darunter, den Weg zum Schцpfertum zu ebnen. Tofik Imamalijew: ДEs ist kein Verzetteln der Krдfte, keine Trennung zwischen beruflichem und gesellschaftlichem Engagement, beides soll einander ergдnzen. In den dreizehn Jahren des Bestehens hat unseren .Studenten' heute ein ganeine Wandlung durchgemacht. Ging es zuerst darum, einige moderne Lцsungsmethoden fьr Erfindungen zu lehren, vermitteln wir unseren ДStudenten" heute ein ganzes System fьr die schцpferische Arbeit, PRINT genannt. Aufgeschlьsselt heiяt dies - Vorbereitung, Lцsung und Anwendung wissenschaftlich-technischer Aufgaben oder deren Ergebnisse."
Unmцglich gibt es nicht
Das Lehrprogramm besteht aus drei Teilen. Erstens: die Entwicklung der schцpferischen Phantasie - das Wort unmцglich ist dabei als erstes aus dem Denkprozeя zu tilgen. Zweitens: die Methodik des Erfindens - der Algorithmus, der den Lцsungsvorgang einer Erfindungsaufgabe in eine logische Folge einzelner Schritte aufteilt, unter Einhaltung bestimmter Regeln. Und drittens: Fragen des Patentrechts. Eltschin Chalilow, gelernter Geophysiker, 25 Jahre, noch nicht lange Absolvent des Zentrums, inzwischen aber selbst erfolgreicher Erfinder (8 Patente) und Leiter eines Experimental-Labors im Institut fьr Geophysik, vertritt folgende Meinung: ДNach Beendigung der Hochschule wuяte ich viel, hatte Kenntnisse wie in einem Nachschlagewerk gesammelt. Aber ich wuяte nicht recht, wie ich sie anwenden sollte, wie sie schцpferisch zu gebrauchen sind. Das begriff ich erst an diesem Institut. Vor allem die ungewцhnliche Fragestellung forderte mich heraus, abzugehen vom konservativen Denken, mein Wissen selbstдndig anzuwenden." Ein №bungsbeispiel: Wie kann die Streichholzproduktion gesteigert werden, ohne mehr Holz einzusetzen? Dьnnere Hцlzer, eine verbesserte .Technologie, die weniger Abfдlle verursacht - darauf kommt fast jeder. Gibt es aber nicht noch einen anderen Weg?Die Natur bietet uns beispielsweise folgendes Schauspiel: Gras wдchst mitunter an Straяenrдndern sogar durch Asphalt, an seinen Spitzen bleiben Teerstьckchen haften. Wenn man nun Gras bewuяt durch eine Schwefelschicht wachsen lieяe? Eine Lцsung, um so zu mehr Streichhцlzern zu kommen? Kaum! Jedoch ein ungewцhnlicher Denkanstoя ... Die Mathematiker, Geologen und Physiker in Chalilows Labor beschдftigen sich momentan mit Problemen des Blitzes und ErdbebenPrognosen. Eine von ihnen entWikkelte Anlage, die die vor jedem Erdbeben auftretenden Ultraschallbewegungen registrieren kann, halten sie bald fьr patentwьrdig. | |
Beim schцpferischen Grьbeln an den Menschen gedacht: ein Schachspiel fьr Blinde. |
Wir lernen an diesem Abend noch weitere dem technischen Fortschritt Verschworene kennen. So den 25jдhrigen Elektronik-Spezialist Gassan, der gegenwдrtig damit befaяt ist, die Methoden und Erfahrungen des Zentrums aufzubereiten, um sie der Jugend auf den Dцrfern um Baku vorzustellen. ДIch bin sicher, es gibt ьberall Interesse und den inneren Drang, die vorhandene Technik weiterzuentwickeln, Neues zu finden, was uns vorwдrts hilft." Wir begegnen Nurredin Bebirli, 34 Jahre, einst als Schlosser auf den Erdцlfeldern in der Kaspi-See unterwegs, jetzt als Ingenieur und Leiter eines Konstruktionsbьros am Erdцlinstitut schon Besitzer von neun Autorenurkunden. Die zehnte Neuerung, eine Anlage, die sicherer arbeitet und mit weniger Belastung das цl fцrdern soll als die ьblichen nickenden Pumpen auf den ÷lfeldem rund um die Stadt, hat er angemeldet. Unter seinen Ideen befinden sich aber auch berufsfremde: ein spezielles Laborgeschirr fьr chemische Untersuchungen, eine besondere Sicherheitsvorrichtung fьr Alpinisten. | |
Oie Idee eines Erdцl-Ingenieurs: eine spezielle Sorte Sicherheitshaken fьr Alpinisten. |
Konsultation fьr Eingeweihte. An der Tafel ein gezeichneter Zylinder. Nimm an, er hat elastische Wдnde. Was kцnnte man damit antangen?
Auf solche Erfolge sind die Bakuer natьrlich stolz, bleiben jedoch mit beiden Beinen auf der Erde. Sie freuen sich ьber jeden aus ihren Reihen, der eine Erfindung macht und den Erfinder-Lohn dafьr erhдlt. Das werten sie als bestandenes Examen. Zensiert wird keiner ihrer Schьler. Der Lehrer bezieht jedoch jeden aktiv in die Arbeit ein, jede Stunde gleicht einem Experimentier-Kabinett.
Eines ihrer Prinzipien: Keine Idee darf zerredet werden, besser eine verrьckte als gar keine! Und sie vergessen bei alledem nicht, daя die ganze Sache Spaя machen muя. Im Kabinett des Direktors hat einer einen krummen Knьppel an die Wand gehдngt. Die absolut erste Erfindung, beteuern sie: Damit gruben und jagten die Urmenschen - und kamen gut voran.
Die Probleme fьr ihre Tдtigkeit entnehmen die Bakuer dem Studium der Patentliteratur und den Aufgaben, die vor den Betrieben in Aserbaidshans Hauptstadt stehen. Nach einer bestimmten Zeit sind die Studenten so weit, sich selbst einzuschдtzen: Bin ich schon in der Lage, das gespeicherte Wissen meines Fachgebietes schцpferisch anzuwenden? Kann ich eine technische Aufgabe lцsen oder nicht? Finde ich dabei Befriedigung - ja oder nein?
Fragen, die den Kem der Aussage von Akademiemitglied Bonifati Kedrow treffen, was er fьr das Entscheidende der Generationsfolge in der Wissenschaft hдlt:
Д...die Herausbildung des selbstдndigen Denkens. Gut ist nicht der Betreuer an der Hochschule, der wie ein Vogel seinen Jungen zerkleinerte Nahrung in die Schnдbel steckt, sondern der, der ihnen beibringt, selbstдndig Neues, bisher Unbekanntes zu entdecken und zu verarbeiten."
Die Bakuer Erfinderschule, nennen wir sie ruhig weiter so, hat inzwischen eine Reihe von Ablegern erhalten. Der Samen, den sie gelegt, ist aufgegangen. In Konstruktionsbьros, Zirkeln und Experimental-Labors vieler Betriebe und Institutionen machen junge Leute mit interessanten Ideen von sich reden.
Direktor Imamalijew: ДWir wollen mit unserer Arbeit dazu beitragen, daя unsere Organisation eines Tages ьberflьssig wird: Wenn nдmlich schon die Kinder in der Schule sich schцpferisch mit der Technik auseinandersetzen lernen und an den Hochschulen die Erfindungslehre Pflichtfach ist."
Die Bakuer wissen, daя mit einem ДHeureka" in der Badewanne der Stein des Weisen kaum noch zu finden ist. Deshalb hцren sie nicht auf, die Technik des Erfindens zu vervollkommnen. Und sie wьnschen sich dafьr auch den Erfahrungsaustausch mit der einen oder anderen Erfinderschule in unserer Republik.
Danke |
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